Wenn man dem Film Der Baader-Meinhof-Komplex etwas ankreidet, dann ist es häufig, dass er in seinen realistischen Bildern nichts neues erzählt, nichts zur Debatte und zur Aufarbeitung der RAF-Zeit beiträgt. Diesen Vorwurf kann man der Dokumentation Une Jeunesse Allemande nicht machen. Die Dokumentation, die sich aus Filmzitaten aus der Nachkriegszeit bis in die 70er-Jahre zusammensetzt, gibt dem Zuschauer einiges an anregenden Perspektiven und Interpretationen mit.

Es sind unkommentierte Filmzitate, die Regisseur Jean-Gabriel Périot für Une Jeunesse Allemande aus den Archiven gezogen und aneinandergereiht hat. Kurze Versatzstücke einer Zeit, in der sich die Gesellschaft neu zu erfinden suchte. Studentenproteste in Berlin. Eine junge, intelligente Frau, die in Schwarzweiß die Demokratie verteidigt. Ganz nebenbei nur wird erwähnt, dass es sich bei der eloquenten Frau um die Ulrike Meinhof handelt. Bilder von der neugegründeten Filmakademie Berlin. Scheinbar zusammenhangslos. Doch entwickelt sich dort eine Dynamik, die am Ende in den Terror der Rote Armee Fraktion ausarten würde.

Une Jeunesse Allemande zeigt zwei Dinge. Zum einen liefert er durch öffentliche Bilddokumente einen intimen Blick in die Gedankenwelt der Protagonisten des Terrors, allen voran Ulrike Meinhof. In ihrer Sprache ebenso wie in ihrer Stimmlage wird eine Entwicklung deutlich, die mit vernünftiger Argumentation beginnt und in verwirrenden Gedankenfetzen endet. Eine Entwicklung, die man Meinhof mit der Zeit auch physisch ansehen kann. Eine Entwicklung, bedingt durch das Gefühl von Machtlosigkeit einer hochintelligenten intellektuellen Elite, der es am Ende egal war, dass ihre Ziele die breite Öffentlichkeit nicht in der gewünschten Weise mobilisierten.

Zum anderen zeigt dieser Film, dass bereits die Entwicklung des linken Extremismus der Nachkriegszeit ein Krieg der sozialen Medien war. Deren strahlende Figuren Meinhof, Ensslin, Baader und Meins und waren Journalisten und Filmemacher, die zwar in kleinen Kreisen, aber dennoch hochgradig vernetzt und kollaborativ ihre avantgardistischen Arbeiten über Freiheit und Wut erstellten. Die Medien, so die Nachricht des Films, waren notwendiges Ausdrucksmittel dieser Generation. Sie waren aber gleichzeitig ihre Nemesis in Form von Springer und den gelegentlich danebenberichtenden öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Der Film lebt von dem Blick von außen auf das Material von innen. Regisseur Jean-Gabriel Périot gräbt tief und findet Kleinode wie den Fahnenlauf durch Berlin oder einen Augenblick mit Rainer Langhans auf der Anklagebank. Man fragt sich schon, warum diese Aufarbeitung nicht von innen kam, aus Deutschland. Aber vielleicht brauchte es genau die Perspektive, die nur der Franzose Périot in der Lage war, einzunehmen. Er verklärt die Zeit nicht, er kommentiert sie kaum. Er versteht jedoch und bewegt sich weit jenseits einer reinen Abbildung der Geschehnisse. Herausgekommen ist ein zeitweise sogar vergnügliches Lehrstück für Psychoanalytiker, Medienwissenschaftler und die Politiker von heute, die erneut den Anschluss an die intellektuelle Klasse des Landes verloren haben.

Dramaturgie: +
Sex: o
Bilder: o
Story: +
Musik: o
Durchblick: o

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