Wenn es um Drogen geht, ist Benicio del Toro nicht weit. Im James-Bond-Film License to Kill machte er erste Erfahrungen im unkonventionellen Sterben durch Drogen. In Fear and Loathing in Las Vegas gab er denen, die noch nie gekokst haben, die Chance, einen Drogentrip mitzuerleben. In Steven Soderberghs fin-de-millénaire-Film Traffic spielte der Puertoricaner einen mexikanischen Cop. Die diesjährige Filmenttäuschung Escobar rettete er als grandioser Drogenboss vor dem totalen Desaster. Und jetzt schon wieder, diesmal als kolumbianischer Düsterling, dessen Ziele und Motivationen im Krieg um die Drogen lange im Dunkeln bleiben.
Die FBI-Agentin Kate Macy (Emily Blunt) lernt del Toros Figur Alejandro auf einem Flug nach Ciudad Juárez kennen. Sie ist bei einer halbseidenen Mission der CIA zur Bekämpfung eines mexikanischen Drogenkartells eingestiegen, nachdem bei einer Hausdurchsuchung einige ihrer Kollegen getötet worden waren. Immer mehr stellt Kate aber fest, dass sie in dem Spiel zwischen Drogenkartellen und Behörden nur eine Statistenrolle übernimmt. Die wahren Interessen sind auf beiden Seiten ganz andere als erwartet.
Der Film beginnt stark: die missratene Erstürmung eines Hauses, das im Dunstkreis des Drogenhändlers Diaz (Bernardo Saracino) zuzurechnen ist. Kompromisslos gefilmt, trocken, gewaltvoll, spannend. Die Charaktere sind, wie der Zuschauer, völlig überfahren von dem Grauen, das sich ihnen dort bietet. Vielversprechend auch der Einsatz in der Grenzstadt Juárez. Schnell rein, schnell raus, das ist der Plan der Einsatzkräfte, die in dicken, schwarzen Karren mit texanischen Kennzeichen über die mexikanische Grenze brettern.
Regisseur Denis Villeneuve nutzt orthogonale Luftaufnahmen der Wagenkolonne und schafft damit eine mitreißende Dynamik des Geschehens. Die visuelle Wirkung dieser Bilder ist gerade deshalb so frappierend, weil sie so simpel sind: Der Zuschauer geht in die Vogelperspektive, die einerseits einen Informationsgehalt liefert, den herkömmliche Einstellungen nicht bieten können. Andererseits bewegt sich diese Perspektive auch jenseits jeder Emotionalität: Sie ist technisch, distanziert und eben deshalb bedrohlich. Die restlichen Bilder sind, dem visuellen Trend der dokumentarisch gefilmten Fiktion und der Wüstengegend folgend, farbarm, kontrastreich und nützen die Cinemascope-Wand voll aus.
Emily Blunt spielt ihre Entwicklung von der harten Hündin zur Getriebenen in diesem Drogenhalma vorbildlich. Leider halten die anderen Charaktere da nicht mit. Benicio del Toro gibt sich nichtmal Mühe, seinen Charakter als das zu spielen, was er laut Drehbuch wohl sein soll: zwiespältig, getrieben von seinen seelischen Verletzungen der Vergangenheit. Im Film bleibt er jedoch nur noch böse. Auch Josh Brolin schafft es nicht, seinem Charakter des CIA-Beraters Matt Graver eine Tiefe einzuhauchen. Er bleibt der harte Hund mit dem überlegenen Lächeln, der er von Anfang an ist. Keine Spur seiner Motivation oder Charakterentwicklung wird sichtbar.
Das Drehbuch versteigt sich derweil in Nebenschauplätzen (der korrupte mexikanische Polizist, dessen Sohn ihn beim Fußballspiel vermisst), die dem Film eine äußerst zweidimensionale Emotionalität verleihen (sollen). Abgerundet wird das Ganze durch diverse kleine und größere Glaubwürdigkeitskatastrophen, zum Beispiel jedes Mal dann, wenn die Einsatzteams offenbar ohne sinnvolle Einsatzbesprechung vor Ort spontan entscheiden, wer welche Truppe nun anführt. Und überhaupt, so richtig glaubwürdig ist auch der gesamte Plot um die Geheimdienst-Outlaws nicht; nein, nichtmal in der heutigen Zeit, wo man den Geheimdiensten alles zu- und nicht mehr vertrauen kann.
Der Film erinnert in Story, Charakteren (vor allem die Hauptfigur) und Filmtechnik ein bisschen an Kathryn Bigelows Zero Dark Thirty, macht aber einiges besser. Man hätte mehr draus machen können, aber Emily Blunt, die tolle Kamera- und Schnittarbeit, das visuelle Konzept und die treibende, unaufdringliche und erfreulich unpoppige Musik machen Sicario zu zwei Stunden guter Unterhaltung, die im Kino wesentlich mehr zur Geltung kommt, als in ein paar Monaten im Heimkino.
Dramaturgie: +
Sex: o
Bilder: +
Story: -
Musik: o
Schauspiel: o
Durchblick: +