Es gibt Menschen, die werden unterschätzt, sobald sie geschätzt werden. Einer, auf den das zutrifft, ist dieser Tage verstorben: Dr. James Horner. Bekannt seit seinem Soundtrack für Titanic 1997, ging seine Karriere von da an steil bergauf. Er komponierte für The Perfect Storm, A Beautiful Mind, Troy, The Legend of Zorro und zuletzt für Avatar. Seine bombastischen, emotionstriefenden Soundtracks erlangten einen Weltruhm, der zuvor nur von John Williams erreicht worden war. Filmkomponisten wie Harry Gregson-Williams, Hans Zimmer und James Newton Howard übernahmen Horners Titanic-Stil und schufen das, was als Relikte orchestraler Soundtrack-Kultur die frühen 2000er prägte. Mir hat das nicht gefallen.

Meine erste Begegnung mit Horners Musik war anders. 1992 sah ich Sneakers, Phil Alden Robinsons völlig unterbeachteten, visionären Film über das kommende digitale Zeitalter. Es war der unverbrauchte Horner, der damals einen nahezu experimentellen Soundtrack lieferte, Percussions, Jazz, und viel Klavier, dabei dennoch orchestral. Komplett durchhörbar und doch so kraftvoll, dass er die Bilder perfekt unterstützt (und manchmal vielleicht sogar dominiert). Wie der ganze Film ist Horners Musik bis heute ein unterschätztes Meisterwerk.

Bereits zehn Jahre zuvor hatte Horner bereits einen ebenso großartigen, aber völlig anderen Soundtrack geschaffen: Star Trek II – The Wrath of Khan. Mit dem achtminütigen Battle in the Mutara Nebula hat sich Horner ein Denkmal gesetzt, das in die Filmgeschichte eingegangen ist. Das Stück entführt alleine schon beim Hören in die Dramatik eines taktischen Katz-und-Mausspiels der beiden Raumschiffe im Mutara-Nebel. Undurchsichtig, überraschend, böse.

Der Vergleich zwischen diesen Musiken, der eigentlich unmöglich ist, zeigt Horners Wandlungsfähigkeit. Hier scharf, orchestral, dort perkussiv und rhythmisch. Und doch immer so spannungsgeladen, wie es kaum ein anderer Filmmusiker geschafft hat.

Keine Frage, auch Titanic ist ein guter Soundtrack. Passend zum Film, emotional aufgeladen, schmalzig im positiven Sinne. Horner sei der Erfolg gegönnt. Dass sein Werk jedoch auf diesen Erfolg reduziert wird und Nachfolgendes immer mit dem Prädikat „Vom Komponisten von Titanic“ versehen wurde, ist traurig. Horner kopierte Horner, nach Titanic noch mehr als vorher. Aber er kopierte nicht mehr so sehr den innovativen Horner, der er einmal war (abgesehen vielleicht von einigen Spartensoundtracks, die es nicht in meine CD-Sammlung geschafft haben). Horner war so viel mehr. Der Erfolg hat, so mein Eindruck, Horner gelähmt – oder zumindest die, die ihn gebucht haben. Aber dennoch blieb Horner die beste Kopie seiner selbst, während die Zimmers und Howards ihn in weiten Teilen nur billig imitierten, bevor sie in den letzten Jahren mehr ihren eigenen Weg gefunden haben.

Wenn jetzt im Internet und in den Zeitungen getitelt wird, „Titanic-Komponist gestorben“, so ist das dennoch notwendig und richtig, da wir ihn alle unter diesem Label kennen. Und immerhin, nicht oft schafft es ein Filmmusiker, einen Nachruf in den Feuilletons zu bekommen. Horner hat das erreicht. Er war einer der bedeutendsten Filmkomponisten überhaupt.


Horner ist übrigens ein Beispiel für die Durchdringung des amerikanischen Films mit europäisch-kulturellen Wurzeln. Er war Sohn eines Österreichers, musikalisch sozialisiert wurde er in London. Erfolgreich wurde er aber in den USA. Mehr zum europäischen Einfluss auf das US-amerikanische Kino gibt es hier bei den Paradeisern.

Flattr this!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Website