Das Bahnhofskino als kulturelle Institution einer ganzen Generation: Jetzt widmet Oliver Schwehm diesen Kinos und ihren Filmen seine einstündige Doku Cinema Perverso. Darin zeigt er nicht nur alte, schwer auffindbare Bilder einer Kinolandschaft, die nie so richtig dokumentiert wurde (“die Bahnhofskinos waren keine Premierenkinos, es gab keinen roten Teppich, keine Fotografen, die hingereist sind”), er dokumentiert auch das, was die Kinos so einmalig gemacht hat: die Filme, von Italo-Western bis Schmuddel. Im Interview spricht der Dokumentarfilmer über den Untergang der Bahnhofskinos und über die Qualität des Schunds.
Für Leute unserer Generation ist das Bahnhofskino entweder eine zwielichtige Institution, irgendwo am Rand einer siffigen Bahnhofshalle, oder romantisiertes Arthouse-Kino wie beispielsweise im Kulturbahnhof Kassel. Was war das Bahnhofskino früher?
Schwehm: Ich glaube, die Bahnhofskinos waren insgesamt ein recht visionäres Konzept in den frühen 50er-Jahren, als der Bahnhof wirklich noch ein Ort des Verreisens war. Alles war sehr schick in den Bahnhöfen, es gab sogar Restaurants erster und zweiter Klasse. Ein bisschen war das so, wie dann später die Flughäfen dieses Gefühl der weiten Welt vermittelt haben. Und an diesen Orten waren die Bahnhofskinos zunächst eigentlich die Idee, dann noch eine Lücke mit Unterhaltungsprogramm für die ganze Familie aufzufüllen, also für Erwachsene wie für Kinder, mit der Wochenschau, aber auch mit Zeichentrick oder mit Slapstick.
Statt am Bahnsteig zu warten einfach kurz ins Kino gehen, klingt nach einem guten Konzept. Warum scheiterten die Bahnhofskinos?
Irgendwann ist das Fernsehen auf den Plan getreten, da waren Wochenschauen auf einmal nicht mehr gefragt. Die Kinos mussten dann umstellen und haben das Programm Richtung Genre-Film gewechselt. Auch das hat sich scheinbar mit der Zeit nicht so wirklich bewährt und am Ende, so in den 80er- und 90er-Jahren, sind die meisten Bahnhofskinos dann zu Sex- und Pornokinos verkommen. Da waren dann teilweise riesengroße Säle wie das Aki in München mit 550 Plätzen, in denen nur drei, vier Typen drin hockten. Das hat sich dann nicht mehr gerechnet. Aber die Kinos waren natürlich auch der Bahn ein Dorn im Auge, die versuchte, ihre Bahnhöfe ein bisschen von diesem Schmuddelimage zu befreien.
Du hast Dich in der Doku ganz bewusst diesem Schmuddelimage gewidmet. Einen Großteil nehmen Ausschnitte aus schlüpfrigen Erotikproduktionen und abstrusen Gewaltfilmen ein.
Weil ich mich für den deutschen Exploitation-Film der 70er-Jahre interessiert habe. Da gibt es so grandiose Machwerke wie Blutiger Freitag oder Ich, ein Groupie oder in den 80er-Jahren einen Macho Man. Aber ein Film nur darüber wird sehr schnell geekig und bestenfalls noch für Historiker und Filmfreaks interessant. Aber mit Bahnhofskino kann jeder Zuschauer etwas anfangen. Und da dachte ich mir, wenn ich das Ganze als Doku über das Bahnhofskino tarne, kann ich vielleicht über diese Filme einen Film machen, ohne, dass man es eigentlich merkt.
Das Bahnhofskino als Vehikel für die Schundfilme der Nachkriegsjahrzehnte. Haben diese Filme dennoch einen künstlerischen Wert, eine eigene Ästhetik, die Du zu schätzen weißt?
Es ist natürlich das sehr Plakative, Reißerische, was aber auch damit zusammenhängt, dass die Filme so sein mussten, dass man zu jedem beliebigen Zeitpunkt ins Kino gehen konnte. Also bei Minute 17 musste man sofort wissen, das ist der Gute, das der Böse und darum geht’s. Das auf die Primäremotion Abzielen, das verbindet glaube ich diese ganzen Filme. Es gibt auch Filme, bei denen dem Primitiven eine Kraft innewohnt. Wo das jetzt Kunst ist und wo nicht, weiß ich nicht. Aber Blutiger Freitag würde ich sagen ist auf jeden Fall Kunst. Es ist immer lustig, wenn mal wieder ein sogenannter „harter Tatort“ mit Til Schweiger kommt, der nimmt sich ja gegen Blutiger Freitag aus wie das Sandmännchen. Diese Filme haben schon Maßstäbe gesetzt.
Das klassische Bahnhofskino gibt es nicht mehr. Fehlt den deutschen Filmemachern damit auch eine Bühne für ihre Werke?
Ja. Ich glaube, was ein bisschen fehlt, ist dieser Mut, direktes Kino zu machen: Gerade in Deutschland wird es immer als Kino zweiter Klasse empfunden, wenn jemand Genre-Kino macht. Aber das ist es ja gar nicht. Hier muss es immer gehaltvoll sein, darf nicht unterhalten, nicht verrohend wirken. Das finde ich schade. Wenn ich zum Beispiel nach Frankreich schaue, was die an Genre-Filmen in den letzten Jahrzehnten herausgebracht haben, bis zu Jean-Pierre Melville, das sind ja grandiose Genre-Filme. In Deutschland gibt es nur ganz Wenige, die die Fahne hochhalten, Dominik Graf natürlich allen voraus. Aber es wäre gut, wenn das auch wieder als richtiges großes Kino anerkannt werden würde. Für diese Filme war das Bahnhofskino natürlich prädestiniert.
Aber es gibt natürlich auch die interessante Tatsache, dass der Begriff Bahnhofskino überlebt hat und heute für das benutzt wird, was man sonst als Grindhouse oder Exploitation-Kino bezeichnet. Der Begriff Bahnhofskino hat praktisch die eigentliche Institution überlebt.